Eine Adresse ist aus der Stammrolle des Wismarer Vereins der Schlaraffi bekannt (Schlaraffia Vismaris). Das ist die Dankwartstr. 59. (Quelle: Chronistin Frauke Lewin)
Als letzte Adresse vor der Emigration ist die Dr.-Unruh-Str. 1 benannt.
+++Aktuell 24. Mai 2022 in Wismar+++
Auch diesen drei jüdischen Akademie-Dozenten wird auf diese Weise Erinnerung zuteil:
Im Rahmen des Projekts Stolpersteine forschten 2021 und 2022 SchülerInnen des Gerhart-Hauptmann-Gymnasiums Wismars zu vertriebenen jüdischen Dozenten der Ingenieur-Akademie und stellen nun in einem virtuellen Museum der Stiftung Mecklenburg die Ergebnisse vor.
Adolf Weingarten war das jüngste von 6 Kindern (geboren am 4. Dezember 1889 in Herford / Hansestadt in NRW) ) der Familie Vater Jakob Weingarten (Kaufmann, mit seinen Brüdern Ludwig und Julius ein gemeinsam betriebenes Lederwarengeschäft in Herford / Komturstr. 16) und Mutter Sara geb. Marcus, Tochter des Gerbereibesitzers Levy Marcus aus Burgsteinfurt.
Weingarten war verheiratet mit der "Arierin" Charlotte Günther, geb. 28.02.1893, Mittenwalde/Berlin. Er lebte seit 1925 in Wismar und vor der Emigration 1934 (ab dem 07.12.1933) noch einmal kurz in seinem Geburtsort Herford.
Quelle: Brade 2001:79; KAH KSHA 95; KAH KSHA 91; Einwohnermeldekartei Herford / über Kommunalarchiv Herford Stadtarchiv
Dr.-Ing. Weingarten kam aus der Industrie, war u.a. in den Zeppelin Werken Berlin Staaken als Chefkonstrukteur und Betriebsleiter (*) und vor seiner Dozentur von 1925 bis Oktober 1928 Oberingenieur in der Wismarer Podeus AG (und gemäß seiner Korrekturhinweise zum Laufbahnblatt auch Direktor und Vorstandsmitglied der AG) . (*) - lt. Prof. Dr. phil. Dipl.-Ing. Matthias Schubert, WB Heft 25/2019)
Mehr zu Studium und zur beruflichen Entwicklung Auszüge aus seinen Laufbahnblättern:
1928 wechselte Weingarten zur Akademie und wurde Dozent im Maschinenbau und begann eine Materialprüfanstalt (Formulierung Dr. Weingarten) in der Kapelle der Heiligen-Geist-Kirche Wismar aufzubauen. Seitens der Akademie auch als Materialprüfungs-Laboratorium bezeichnet.
Hierbei konnte sich Weingarten auf seine großen Erfahrungen im Luftschiffbau in Berlin Staaken berufen, wo er von 1915-1921 tätig war.
Nach Carl Michenfelder wurde Weingarten von 1930 Direktor der Akademie. Unter Weingarten erfolgte umgehend eine durchgreifende Modernisierung der Lehr- und Stundenpläne, die mit Billigung des Kuratoriums sofort erfolgreich eingeführt wurden. Jedoch faschistisch verhetzte Studenten griffen ihn mit Presseunterstützung an, so auch, weil er Ausländern auf Grund der Sprachprobleme längere Studienzeiten zubilligte. Die Nationale Studentenschaft letztlich vom Rat der Stadt seine Amtsentlassung und drohten mit Boykott der Akademie. So wurde am 29. Oktober 1931 per Ratsbeschluss Weingarten nahegelegt, seinen Posten freiwillig zu räumen, bei gleichzeitigem Lob für seine erfolgreiche Amtsführung. (umfassend mehr zu diesem Vorgang im Artikel von Prof. Dr. phil. Dipl.-Ing. Matthias Schubert, Wismarer Beiträge Heft 25, Seite 230-245)
Weingarten hatte das Versprechen der Weiterbeschäftigung, blieb Dozent, lehrte Metallographie, forschte zur Leichtmetallverarbeitung und baute die Materialprüf(ungs)anstalt weiter aus. Nachdem nach der Machtergreifung der Nazis am 23. März 1933 die Weimarer Verfassung außer Kraft gesetzt wurde, trat der amtierende Akademiedirektor Böttger aus Protest gegen die faschistische Bildungspolitik zurück. Das NSDAP-Mitglied Dozent Dipl.-Ing. Berthold wurde eingesetzt, der die sofortige Kündigung des Juden Dr.-Ing. Adolf Weingarten veranlasste (unter Weingarten wurde im Sommer 1931 Berthold gekündigt, nachdem er zur Immatrikulationsfeier den Faschismus verherrlichte).
Vor dem Hintergrund des Gesamtschicksals des jüdischen Dozenten Dr.-Ing. Adolf Weingarten, gestaltet sich ein Verständnis für sein Verhalten als Akademie-Direktor 1930 bei den Bestrebungen, Dr.-Ing. Kurt Heinrich abmahnen zu lassen und letztlich eine Kündigung herbeizuführen, etwas schwierig. So hatte Weingarten u.a. zwei Briefe von Heinrich im Sekretariat abfangen und diese dann kommentiert an den Vorsitzenden des Kuratoriums der Ingenieur-Akademie gesandt.
Vielleicht war es die teils laxe Art Heinrichs (z.B. zu Stundenausfall ), die Weingarten (drei Jahre älter als Heinrich) störte und er deshalb meinte, ihn maßregeln lassen zu müssen. Weingarten dürfte die mögliche Tragweite seiner Beschwerde klar gewesen sein. So bewirkte sein Brief letzten Endes in krampfhafter Ergänzung weiterer Punkte, dass ein Gremium von nur fünf Personen (hier Disziplinarausschuss genannt) anhand teils nur sehr vager Anschuldigungen Heinrich eine fristlose Kündigung zum 1. Oktober 1931 aussprechen wird. Im Gegensatz zu späteren Gremien der Neuzeit mit ähnlich weitreichender Entscheidungsbefugnis, deren Urteil ohne Beweisnot nur auf vorgelegten oder geäußerten Anschuldigungen basierten, war Heinrich immerhin noch die Möglichkeit des juristischen Einspruchs gegeben, die er - zunächst noch siegesgewiss - nutzte. (mehr)
Am 29. Oktober 1931 fielen zwei bedeutende Ereignisse im Zusammenhang mit Heinrichs Kündigung grotesker Weise zusammenfallen. Es war der Tag, an dem
und
Unter Weingarten wurde im Sommer 1931 dem Dozenten Dipl.-Ing. Berthold (späterer Direktor von 1933-1937!) gekündigt, nachdem er zur Immatrikulationsfeier den Faschismus verherrlichte. Danach sah sich Weingarten einer massiven faschistischen und antisemitistischen Hetze ausgesetzt. Um eventuellen Abwanderungen und anderen Problemen entgegenzuwirken, wird Weingarten vom Rat genötigt, freiwillig zurückzutreten - vollen Lobes für seine geleistete Arbeit.
Nach dem genötigten Rücktritt als Direktor im Oktober 1931 wird mit Schreiben vom 30. März 1933 Adolf Weingarten (fristgerecht!) die Kündigung zum 30. September 1933 ausgesprochen und zugestellt. Die Kündigung erfolge, "...weil ein großer Teil der Studierenden der Anstalt (die) weitere Lehrtätigkeit ablehne" und "...im Interesse der Weiterentwicklung der Anstalt und zur Abwendung weiterer wirtschaftlicher Nachteile" (sei) die Entlassung daher nicht zu umgehen."
Ende Juni 1933 wird für die "Zeitschrift des Vereins Deutscher Ingenieure" eine Stellenausschreibung formuliert.
Im Zusammenhang mit seiner Kündigung wird Weingarten aufgefordert, das wichtigste Nachweisbuch der von ihm geleiteten Materialprüfanstalt, dem "Tagebuch der Materialprüfungen", der Akademie-Leitung zu übergeben. Dazu folgte ab dem 30. Oktober 1933 ein längerer Schriftverkehr (bis März 1934), wo sein Bruder Ludwig * in Herford letztlich im Februar 1934 noch zum Mittler wurde. Nach Ludwigs Aussagen hielt sich zu diesem Zeitpunkt sein Bruder Adolf im Ausland auf.
* Bruder Ludwig Weingarten wurde 1942 deportiert 28./ 31.03.1942), im Warschauer Ghetto ermordet und wird rückwirkend zum 08.05.1945 für tot erklärt.
Stolperstein in Herford zur Erinnerung an ermordeten Bruder Ludwig Weingarten
Quellen: Brade 2001:80; KAH KSHA 82; KAH S I 719; Verzeichnis 1962 Stadt Herford; Einwohnermeldekartei Herford; KAH S Slg. Q 61
Weingarten verließ mit seiner Frau am 26. Juli 1934* Deutschland und hielt sich in seinen fast zwanzig Jahren Emigration in Palästina und Israel auf. 1947 wollte Georg Münter (Direktor 1945-1947) Dr. Weingarten als seinen Nachfolger. Doch ein entsprechender Brief von Münter erreichte Weingarten in Palästina zu spät, zusätzlich gab es Visaprobleme. (Aussagen von Prof. Dr. phil. Dipl.-Ing. Matthias Schubert zu persönlichen Gesprächen mit der Ehefrau und dem ihm vorliegenden Nachlass Weingartens)
* Quelle des Emigrationsdatums: Brade 2001:79; KAH KSHA 95; KAH KSHA 91; Einwohnermeldekartei Herford / über Kommunalarchiv Herford Stadtarchiv
1947 hätte Georg Münter (Direktor 1945-1947) Dr. Weingarten gern als seinen Nachfolger gesehen. Doch ein entsprechender Brief von Münter erreichte Weingarten in Palästina zu spät, zusätzlich gab es wohl Visaprobleme. (Aussagen von Prof. Dr. phil. Dipl.-Ing. Matthias Schubert zu persönlichen Gesprächen mit der Ehefrau und dem ihm vorliegenden Nachlass Weingartens)
Es gibt einen umfänglichen Nachlass zum Dr.-Ing. Adolf Weingarten (er starb 1967), den Prof. Dr. phil. Dipl.-Ing. Matthias Schubert * (Bauingenieur, Architekt und Historiker) nach dem nun auch Ableben der Ehefrau übernehmen durfte. Einiges an neuen Erkenntnissen hat Prof. Schubert bereits in den Wismarer Beiträgen 2019 (Seite 230-245) präsentiert.
* - Matthias Schubert ist am 5. Juli 2021 im Alter von 93 Jahren verstorben. Schuberts Nachlass (damit auch der Nachlass Weingartens) befindet sich mittlerweile (2022) im Besitz des Archivs der Hansestadt Wismar. Weitere Recherchen daraus sind geplant.
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